Queerer Landesempfang 2024 mit eindrücklichen Reden

Am 02.02.24 konnten wir mit vielen Gästen aus der queeren Community, Gesellschaft und Politik den gemeinsamen Jahresempfang der queeren Landesverbände in NRW (Queeres Netzwerk NRW, LSVD NRW und NGVT* NRW) feiern.
Laura Becker (vom Vorstand des Queeren Netzwerks NRW) und Arnulf Sensenbrenner (vom Vorstand des LSVD NRW) haben in ihren Reden neben den positiven Entwicklungen in unserer Zusammenarbeit und im Land auch die schwierige politische Lage und die Konsequenzen für unsere Community dargestellt. Besonders die höchste Dringlichkeit zur Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes und die Wichtigkeit bei den anstehenden Wahlen fürs Europaparlament und für die Landtage für unsere Interessen und die Demokratie wählen zu gehen und dafür zu sorgen, dass Demagog*innen und Populist*innen keinen Einfluss gewinnen, wurde hervorgehoben.

Hier der Redetext zum Neujahrsempfang 2024  (von Laura Becker- Queeres Netzwerk NRW  und Arnulf Sensenbrenner- LSVD NRW):
(LAURA)
Liebe Ministerin Josefine Paul, liebe queere Communities, liebe alle.

Wir freuen uns sehr, mit Ihnen und euch den nunmehr dritten Jahresempfang der queeren Landesverbände in NRW begehen zu dürfen. In diesem Sinne heißen wir Sie und euch herzlich willkommen: Im Namen des Queeren Netzwerks NRW, des LSVD NRW und des Netzwerks geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW.
Beim Aufzählen der Gastgebenden fällt manchen der Anwesenden womöglich eine nicht allzu kleine Lücke auf: Fehlt nicht etwa die LAG Lesben? Ich darf aber alle beruhigen. Denn die Lücke ist kein Grund zur Besorgnis, sondern ein Grund zur Freude. Seit vergangenem April glückte endlich die schon seit vielen Jahren angestrebte Fusion der LAG Lesben mit dem Queeren Netzwerk NRW. Liebe Mitglieder, wir beglückwünschen euch zu dieser Entscheidung und ihrer erfolgreichen Umsetzung. Und freuen uns: ihr habt einen außerordentlichen Meilenstein gesetzt. Dank eurer Bereitschaft und der hervorragenden Zusammenarbeit von Vorständen und Geschäftsführung geht der Verein zum jetzigen Zeitpunkt immens gestärkt in dieses neue Jahr und wird, da bin ich mir sicher, die Communities in NRW noch weiter voranbringen als je zuvor.

(ARNULF)
Auch wir vom LSVD Nordrhein-Westfalen freuen uns sehr, dass diese Fusion, die wir aktiv unterstützt haben, geglückt ist. Dies ist ein positives Zeichen für eine gemeinsame und gestärkte queere Community. Dazu eine kurze Information zu uns: Wir wollen und werden unter dem Label LSVD weiterhin aktiv sein, aber auf unserer Bundesmitgliederversammlung im März werden wir über die Neufassung des Verbandsnamens diskutieren, um die tatsächlich existierende queere Vielfalt künftig auch in unserem Namen darzustellen.

Die Stärkung unserer Community ist aktuell leider auch dringend notwendig angesichts der wachsenden Herausforderungen einer Zukunft, die für queere Menschen mit Diskriminierung, Angst und Gewalt verbunden sein kann.
Denn es dürfte niemand der hier Versammelten entgangen sein, dass die Vorahnungen der letzten Jahre spätestens vor einigen Wochen zur bedrückenden Gewissheit herangewachsen sind.
Die Rechercheplattform CORRECTIV enthüllte und bestätigte, wovor auch wir stets gewarnt haben: Die sogenannte Alternative für Deutschland, die seither gegen marginalisierte Gruppen hetzt – seien es Geflüchtete, Migrierte oder queere Menschen – schmiedet Pläne.
Pläne, nach denen Menschen, die nicht in ihr enges Weltbild passen, „remigriert“ werden sollen.
Konkret: Vertrieben werden sollen, zur Not mit Gewalt.
Nun sind bald 80 Jahre vergangen seit dem Nazi-Terror. Und noch immer sind wir dabei, Lücken in der Geschichte aufzuarbeiten und ihre Scherben aufzulesen. Es macht sprachlos, dass wir – gerade wir, hier in Deutschland – aktuell eine derartige Entwicklung nach rechts wiedererleben.

(LAURA)
Vor einer Woche, am 27. Januar, haben wir uns am Mahnmal in Köln versammelt, um der queeren Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Dem Ernst des Anlasses zum Trotz empfand ich beim Anblick der Teilnehmenden, die so zahlreich erschienen waren wie noch nie zuvor, Zuversicht. Auch Sven Lehmann, Queer Beauftragter der Bundesregierung, war vor Ort und mahnte, dass auch jetzt wieder der Geist des Faschismus durch Deutschland wehe. In diesem Sinne begrüßen wir, dass deutschlandweit Millionen Menschen aufstehen und endlich Flagge zeigen. Und genauso war und ist auch unser jährliches Gedenken zu verstehen. Es dient nicht nur der Erinnerung. Es ist zugleich ein Protest, eine Mahnung, ein Appell. Ein Protest gegen die erstarkenden rechten Bewegungen. Eine Mahnung vor einer Wiederholung der Geschichte. Eine Erinnerung an die Menschlichkeit.
Und ein Appell an alle Demokrat*innen, sich gegen eben diese rechte Front zu solidarisieren: „Nie wieder ist jetzt!“  

(ARNULF)
Erst letztes Jahr wurden die queeren Opfer der NS-Zeit zum ersten Mal auch im Bundestag in das Gedenken eingeschlossen. Hierzu sagte Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung: „Um aus der Geschichte zu lernen, müssen wir das Unrecht kennen und benennen, wir müssen es weiter erforschen und beschreiben, welche Missstände es gibt.“ Das ist wahr und das ist richtig. Doch die Erforschung und Beschreibung der Missstände reicht keineswegs aus. Es braucht endlich konkrete Maßnahmen, um sie ein für alle Mal zu beseitigen.

Wieso sind die queeren Opfer des Nationalsozialismus immer noch die einzige Opfergruppe, die keine explizite Erwähnung im Grundgesetz findet?
Schwulen, Lesben und Transmenschen wurden von den Nazis ihre Menschenrechte abgesprochen. Sie wurden gedemütigt, verfolgt, gefoltert und ermordet.
Aber:
Auch nach 1949 wurden in Deutschland schwule Männer nach dem §175 StGB weiterhin verfolgt und verurteilt. Erst 1994 nach der Wiedervereinigung wurde der § 175 vollends aufgehoben. Dies wirkt bis heute nach.
Daher – für alle queere Menschen:
Artikel 3 des Grundgesetzes, unserer Verfassung, muss endlich und kurzfristig um das Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzt werden!!
Das Fenster, um diese Änderung mit der notwendigen 2/3-Mehrheit im Bundestag und auch im Bundesrat zu verabschieden, droht sich aber noch in diesem Sommer für lange Zeit zu schließen!
Das Blatt kann sich schon diesen Sommer wenden, wenn sich bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg rechte und auch linke  Populist*innen ausbreiten, die sich auf Kosten von Minderheiten profilieren.
Diese längst überfällige Ergänzung muss daher absolute Priorität haben vor anderen Gesetzesvorhaben, welche auch mit einfacher Mehrheit im Bundestag beschlossen werden können.
Nochmal in aller Deutlichkeit: ohne diesen Schutz in der Verfassung ist, bei entsprechenden Mehrheiten, der Beschluss queerfeindlicher Gesetze rechtlich möglich.
Unser Appell an alle Menschen, die in demokratischen Parteien aktiv sind lautet daher:

Werden sie ihrer Verantwortung für uns gerecht!
Sorgen sie dafür, dass wie auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart, der Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes Artikel 3 um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzt wird.
Lassen sie Uneinigkeiten und politische Grabenkämpfe beiseite und arbeiten als demokratisch gesinnte Menschen für diese Reform zusammen.
Sorgen sie dafür, dass der Entwurf zur Ergänzung im Bundestag durch die Fraktionen von SPD, Grüne und FDP kurzfristig eingebracht und auch mit der CDU/CSU-Fraktion abgestimmt wird.
Das ist möglich und dazu sind auch wir vom LSVD aktiv.
Machen sie ihren Abgeordneten und Fraktionsspitzen die Dringlichkeit deutlich. Werden sie dazu auch im Bundesrat aktiv.
Die Chance das Grundgesetz zu ergänzen besteht genau jetzt!!
Gemeinsam können wir das schaffen, gerade zu einem Zeitpunkt wo eine Änderung des Grundgesetzes eh stattfinden soll.

Ein weiterer sehnlichst erwarteter Punkt ist die Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes zur Ablösung des sogenannten und entwürdigenden „Transsexuellengesetzes“.
Der Zeitpunkt trans- und intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen einen würdevollen Korrekturprozess ihres Geschlechtseintrags gemäß ihrer Geschlechtsidentität zu ermöglichen ist überfällig.
Seit einigen Jahren werden sie, als eine der vulnerabelsten Gruppen in unserer Gesellschaft, von rechten Hetzer*innen, von Boulevardmedien, aber auch von linken Demagog*innen und leider auch von einer Gruppe Frauen, die sich selbst als feministisch betrachten, sich aber hier nicht scheuen sich mit expliziten Gegnern von Frauenrechten gemein zu machen, zu einem Sündenbock eines Kulturkampfes sondergleichen gemacht. Sie benötigen eine volle und umfassende Cis-Solidarität und damit einhergehend jede praktische Unterstützung, die ihren leider noch allzu oft von Diskriminierungen und Schikanen geplagten Alltag erleichtern könnte.
Der Beschluss und die Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes muß unverzüglich kommen.

Wir arbeiten unter Hochdruck daran, mehr Safer Spaces für unsere Communities zu schaffen.
Doch um diese Schutzräume zu gewährleisten, sind wir auf Unterstützung angewiesen:
Bei der Justiz in NRW wurden im letzten Jahr endlich die Stellen zweier Schwerpunktsanwält*innen gegen queere Gewalttaten geschaffen.
Das ist sehr begrüßenswert, um die Ausleuchtung von queerfeindlichen Straftaten zu verbessern.
Auch wurde aus dem Justizministerium, in Zusammenarbeit mit den queeren Verbänden in NRW eine Handreichung zur adäquaten Behandlung queerer Straftaten für Staatsanwaltschaften herausgegeben, die bundesweit Beachtung fand.
Es ist bleibt allerdings weiter notwendig, dies auszubauen und es muss künftig in jeder Staatsanwaltschaft in NRW Staatsanwält*innen mit queerem Schwerpunkt geben.
Auch in den Justizvollzugsanstalten gibt es erste gute Ansätze für einen queersensibleren Umgang, auch Transpersonen.
Auch diese hier getroffenen Maßnahmen begrüßen wir ausdrücklich.
Es sind bisher aber Leuchtturmprojekte, die landesweit ausgebaut werden müssen und es braucht auch queere Ansprechpersonen in der Justiz mit festen Stellen. Die Richtung stimmt, aber das Tempo muss noch deutlich erhöht werden.

In Nordrhein-Westfalen fehlen nach wie vor hauptamtliche Ansprechpersonen im polizeilichen Bereich für queere Themen, die nach innen und nach außen wirken. Wir verweisen hiermit nachdrücklich auf andere Bundesländer, wie zum Beispiel Hamburg, Niedersachsen, aber auch Sachsen-Anhalt, die hauptamtliche Ansprechpersonen haben und uns in diesem Punkt weit voraus sind.
Seit 2023 gibt es zwar immerhin eine hauptamtliche Ansprechperson für queere Themen im Polizeipräsidium Köln, was wir hiermit positiv hervorheben möchten. Allerdings handelt es sich um eine reine Einzelentscheidung innerhalb der PP Köln.
Der Aufholbedarf ist heute, wo queerfeindliche Gewalt massiv zunimmt, mehr als dringend.
Die Umsetzung des langfristig angelegten politischen Projekts zur Einführung unabhängiger Polizeibeauftragter ist unabhängig davon zwar geplant, aber sowohl die Umsetzung als auch die Ausgestaltung sind derzeit noch völlig offen.

Auch in der queeren Gemeinschaft gibt es besonders vulnerable Gruppen. Dazu zählen Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen. Die Förderung von Selbsthilfeprojekten darf hier nicht eingestellt und eingeschränkt werden. Nein, im Gegenteil, gerade sie muss ausgebaut werden.

Auch innerhalb Europas sind gleiche Rechte für queere Menschen noch nicht überall Realität und sie werden von Populisten und religiösen Eiferern bekämpft. Aber es gibt auch hier Fortschritte: Estland hat 2024 die Ehe für alle eingeführt und auch in Griechenland soll dies, trotz des Widerstands der griechisch-orthodoxen Kirche, bald wahr werden.

Die Europäische Union bekennt sich – noch – zu den Rechten von LSBTIQ*-Communities und marginalisierten Gruppen.
Doch diese Rechte stehen derzeit unter Dauerbeschuss. Die 2023 geplante GEAS-Reform führt zum Beispiel zur Abschaffung des Asylrechts für queere Menschen an den EU-Außengrenzen. Wie wird es queeren Menschen, die vor Gewalt fliehen und sich ein neues Leben aufbauen möchten, möglich sein, in Zukunft in der EU und in Deutschland einen Asylantrag zu stellen? Wir kritisieren die Einstufung von Herkunftsstaaten als „sicher“ für queere Menschen. Denn queere Lebensrealitäten, genauso wie die Lebensrealitäten anderer vulnerabler Gruppen, werden darin nicht mitbedacht. Das ist mehr als nur problematisch. Es ist eine Verletzung europäischer Prinzipien und Menschenrechte.

Bisher ist das europäische Parlament ein Forum zur Gewährleistung gleicher Menschenrechte, auch für Queers. Aber bei der diesjährigen Europawahl droht eine Zäsur. Sie könnte einen gefährlichen Richtungswechsel einleiten. Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl war schon immer verhältnismäßig gering. Und die vergangenen Jahren, in denen unser Kontinent eine Krise nach der anderen erleben musste, haben die Fragilität der Staatengemeinschaft gezeigt und ihrem Zusammenhalt tiefe Risse zugefügt. In diesen Rissen haben sich nun Populist*innen und Demagog*innen mit ihren nationalistischen und oft menschenverachtenden Ideen eingenistet.
Von dort aus verbreiten sie den Unmut und den Hass auf alle sogenannten „anderen“.
Sie füttern die Menschen mit vermeintlich einfachen Antworten auf in Wahrheit komplexe, tiefwurzelnde Probleme.
Dem müssen und können wir entgegenstehen!
Für unsere gemeinsame Zukunft!
Geht zur Europawahl. Geht wählen!
Gebt eure Stimme einer demokratischen Partei und einem demokratischen Europa!
Sprecht eure Bekannten und Mitmenschen an und motiviert sie auch wählen zu gehen!
Sorgt dafür, dass die menschenverachtenden und minderheitsfeindlichen Demagog*innen, egal ob sie dies mit einem rechten, linken oder religiösen Mäntelchen verbrämen, keinen Einfluss auf unser Europa und unser Leben gewinnen!

(LAURA)
Liebe Anwesende, diese Aufzählung an Schieflagen, der Unsicherheiten, des Unrechts, der Gewalt ließe sich noch endlos lange fortführen. Noch brennt das Leuchtfeuer – die Idee der Gleichheit aller Menschen – in Europa, in Deutschland. Die Versuche, es zum Erlöschen zu bringen, schaden letztendlich nicht nur queeren Communities, sondern allen Menschen. Es obliegt uns – uns allen – dafür zu kämpfen, dass es dazu nicht kommt. Die Demokratien, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, sind brüchiger geworden oder stehen gar vor einer Zerreißprobe. Das ist in den letzten Jahren überdeutlich geworden.

Doch wenn ich zurückblicke, in die ältere aber auch in die jüngere Vergangenheit, schöpfe ich auch Kraft und Hoffnung. Ich möchte auf die großartige Arbeit aufmerksam machen, die wir mit unserem Aktivismus und unserer politischen Arbeit in den vergangenen Jahren bewältigt haben. Ich möchte dieses Jahr also nicht nur mit der vorangegangenen, erdrückenden Aufzählung von Missständen beginnen. Ja, an vielen Ecken und Enden lodert es, vieles macht Angst, vieles lässt sich nicht voraussehen.
Bei all den Hindernissen und Mauern, die sich vor uns auftürmen, ist es leicht, in einen Zustand der Resignation zu verfallen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass uns die zu bewältigenden Hürden lähmen. Wir haben schon viel erreicht und sind so weit gekommen, worauf wir mit Stolz zurückblicken können. Wir haben so oft bewiesen, dass wir wehrhaft sind, uns nicht einschüchtern lassen und für die Rechte eintreten, die uns zustehen! Und mit ebendiesem Selbstverständnis und Mut sollten wir auch den künftigen Herausforderungen ins Gesicht blicken. 

Ganz in diesem Sinne möchte ich mit euch feiern, dass die Fachstelle Queere Jugend 2024 ihr zehnjähriges Jubiläum feiert. Sie hat sich zur schier unverzichtbaren Anlaufstelle und kompetenten Begleitung für queere Jugendtreffs und Jugendgruppen entwickelt, in denen sich junge Ehrenamtliche und Fachkräfte dafür engagieren, dass nicht nur sichere, sondern auch empowernde Räume für queere Jugendliche geschaffen werden. Bei der Gründung der Fachstelle Queere Jugend 2014 gab es knapp 30 Angebote für queere Jugendliche. Heute sind es über 70! Was für ein Erfolg. Was für eine großartige Arbeit ihr tagtäglich leistet, hierfür ein großes Dankeschön und bitte einen kräftigen Applaus!

 Auch hervorheben möchte ich die herausragende Arbeit der Kampagne ANDERS & GLEICH. Wie fantastisch ist es bitte, dass die „Fibel der kleinen Unterschiede“ dieses Jahr in der sechsten Auflage produziert und unter die Leute gebracht wird! Die enorme Nachfrage beweist eindrücklich, wie hoch der Bedarf und das Interesse nach Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ist. Auch der endlich gelungene Ausbau von SCHLAU NRW ist ein großartiger Erfolg der so wichtigen Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Selbiges gilt für den Ansturm auf die Workshops und Fachtage unserer Fachstellen. Zum Beispiel der Fachtag Trans* und Pflege: Es gab auf die 90 Plätze sage und schreibe über 500 Anmeldungen.

Die Offenheit für Lernprozesse in der Mehrheitsbevölkerung und den Institutionen ist also längst da. Wenn ein Fachtag so überbucht ist, wäre der nächste logische Schritt doch, hier anzusetzen und eine systematische und langjährige Weiterbildung für Fachkräfte anzubieten. Es ist gut, dass wir im Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales endlich Ansprechpersonen für Gesundheit, Pflege und Inklusion haben. Der Qualifizierungsbedarf zu Queer in diesen Bereichen ist ungebrochen und die Diskriminierung, insbesondere von trans, inter und nichtbinären -Personen, besteht fort. Wir brauchen hier schneller und umfassendere Maßnahmen. Insgesamt fehlt es uns beim Thema Querschnitt an Entschlossenheit und Tempo. Wir versprechen Euch: Wir lassen nicht locker.

Das haben wir auch nicht bei den im letzten Herbst angekündigten Kürzungen. In fast allen Bereichen konnten die Kürzungen verhindert werden. Insbesondere bei den Regenbogenfamilien sind wir besonders froh, dass die Finanzierung der Fachstelle für 2024 gesichert ist. Danke an alle Menschen, die hier mitgewirkt, unterstützt und Hebel in Gang gesetzt haben.

Aber für 2025 braucht es mehr. Eine finanziell aufgestockte und abgesicherte Fachstelle Regenbogenfamilien muss das Ziel sein, damit queere Familien endlich die Unterstützung und das Empowerment erhalten, die sie dringend brauchen. Der Ausbau der Fachstelle steht sogar im Koalitionsvertrag der Landesregierung. Wir sind bereit: Also los!

(ARNULF)
Ein weiterer Meilenstein wird die diesjährige Inbetriebnahme der Meldestelle Queerfeindlichkeit werden. Als Kooperationsprojekt des LSVD NRW, NGVT* NRW, rubicon und des Queeren Netzwerk NRW wird sie nicht nur Queerfeindlichkeit dokumentieren, sondern darüber hinaus ein niedrigschwelliges Angebot für Opfer und Zeug*innen von queerfeindlicher Gewalt und Diskriminierung in NRW zur Verfügung stellen.

Aufgrund von schwierigen und teils traumatisierenden Erfahrungen queerer Menschen mit der Polizei und der Justiz, die uns eigentlich schützen sollen, gibt es mutmaßlich nach wie vor eine enorme Dunkelziffer an nicht gemeldeten bzw. erfassten Vorfällen und Übergriffen. Wir wollen Licht in dieses Dunkel bringen.
Für Betroffene wird sie außerdem ein Verweisangebot mit Beratungsstellen bereithalten: Denn wir wollen keine Person mit queerfeindlicher Gewalterfahrung im Stich lassen!
Das wird aber nur dann funktionieren, wenn es auch ausreichend qualifizierte und finanzierte Beratungsstellen gibt. Hier ist das Land NRW weiter in der Pflicht – aktuell finden queere Menschen noch immer zu wenig Beratungsstellen – und die bestehenden Angebote stehen am Limit.

Die Meldestelle wird auch ein wirksames Instrument, um die zahlreichen vermeintlichen Leerstellen und Wissenslücken zu schließen, die noch immer in vielen Köpfen vorherrschen und die die Erfahrungen, mit denen unsere Communities tagtäglich konfrontiert sind, rhetorisch herunterspielen und mögliche Lösungswege blockieren. Wir wissen allzu gut, dass eine Meldestelle nicht ausreichend sein wird. Es braucht mehr! Es braucht Schnittstellen zur Strafverfolgung, um Täter*innen zu beweisen, dass Queerfeindlichkeit in unserer freien, demokratischen Gesellschaft keinen Platz hat. Und, dass sie strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.

(LAURA)
Es ist oft schwierig, sich von den Aggressionen, die uns vielerorts entgegenschlagen, standzuhalten. Davon sollten wir uns jedoch nicht beirren und von unserem Weg abbringen lassen, so beschwerlich und steinig er manchmal auch sein mag. Dinge wollen erklärt werden. Und wenn wir den Menschen universelle Werte wie Gleichwertigkeit und Toleranz noch einmal oder weiterhin beibringen müssen, dann tun wir das eben: mit der erforderlichen Geduld und Sachlichkeit. Aber auch mit einer Beharrlichkeit, einer klaren Haltung und Erwartung!

Es ist kaum zu übersehen, dass mittlerweile ein Siedepunkt erreicht, wenn nicht gar überschritten ist. Deswegen freue ich mich, dass sich so viele Menschen am letzten Samstag für das Gedenken versammelt haben. Und ebenso freue ich mich, dass endlich ein kräftiger Ruck durch die allzu lange sehr schweigsame Mehrheitsgesellschaft geht. So viele Menschen stehen derzeit auf – endlich! – und protestieren gegen diesen unerträglichen Rechtsruck, die demokratie- und menschenfeindliche Politik der AfD sowie gegen den von ihr geschürten Hass. Diesem Hass beugen wir uns nicht. Wir treten ihm mit aller Entschlossenheit entgegentreten!

Dass wir auch heute hier zusammenstehen belegt, dass wir es nicht alleine tun. Lasst uns also fortfahren mit unserer Arbeit und dem so wichtigen ehrenamtlichen Engagement:
Lasst uns mit und als Menschen in den Dialog treten, lasst uns unsere Perspektiven erklären und auf Fragen antworten, lasst uns gemeinsam lernen, lasst uns zusammen neue Vereine gründen, ehrenamtlich aktiv werden, in demokratische Parteien und Gewerkschaften eintreten und damit demokratische Strukturen nachhaltig festigen. Und das machen wir: als PoCs, als Geflüchtete, als Migrierte, als Trans-, Inter- und nichtbinäre Menschen, als Menschen mit oder ohne Handicap, Marginalisierte, als Schwule, als Lesben, Bisexuelle oder Aromantische – als queere Communities!
Das sind nur einige von unendlich vielen Ideen und Möglichkeiten, die auszuschöpfen sind, um für mehr Toleranz und ein friedfertiges Miteinander zu werben.

Aber noch etwas: Und ich möchte, dass wir mit diesem Gedanken aus dem Buch „Gegen den Hass“ von Carolin Emcke in den Abend starten:
„Zum zivilen Widerstand gegen den Hass gehört […] auch, sich Räume und Phantasie zurückzuerobern. Zu den […] Strategien gegen Ressentiments und Missachtung gehören auch, […] die Geschichten vom Glück. Angesicht all der unterschiedlichen Instrumente und Strukturen […], die Menschen marginalisieren und entrechten, geht es beim Widerstand gegen Hass und Missachtung auch darum, sich die verschiedenen Möglichkeiten des Glücklichwerdens und des wirklich freien Lebens zurückzuerobern.“

Denn auch darum sind wir heute hier: Um ins Gespräch zu kommen und uns auszutauschen, uns miteinander zu vernetzen und vor allem: um uns gegenseitig zu empowern.